AVS Jugendführerfahrt ins Kackar-Gebirge (2009).
5.00 Uhr – Laute Gebetsgesänge reißen mich aus dem Schlaf. Der blecherne Lautsprecherruf des Muezzins am Morgen könnte fast Tote zum Leben erwecken. „Er ruft im ersten Licht, dann, wenn man einen weißen von einem schwarzen Faden unterscheiden kann“, so erzählt man uns. Ich weiß nur eins, an ein Weiterschlafen ist in der nächsten Viertelstunde nicht zu denken. Mit den anderen Jugendführern verbringe ich die letzte Nacht vor unserer Heimreise in einer Jugendherberge in Istanbul…
Vor vier Monaten war lediglich das Ziel der Reise bekannt.
Im Dezember trafen sich 13 skitourenbegeisterte Jugendführer mit dem Bergführer Renato Botte und dem Mitarbeiter der AVS-Jugend Stefan Steinegger in Bozen und begannen gemeinsam die diesjährige Jugendführerfahrt zu planen. Das einzige was uns zu diesem Zeitpunkt bekannt war, war das Reiseziel. Wir fahren ins Kackar-Gebirge, das sich im Nordosten der Türkei in der Nähe des schwarzen Meeres befindet, das wiederum ein Garant für reichlichen Schneefall ist.
Da diese Fahrt erlebnisorientiert aufgebaut wurde, bedeutete dies für uns, dass wir sämtliche Reisevorbereitungen selbst erledigen mussten. So galt es Material- und Proviantlisten zu erstellen, Landkarten ausfindig zu machen, Informationen zu Land und Leute zu sammeln, Transfers und Unterkünfte zu organisieren.
Dann war es endlich soweit. Am 14. März fuhren wir nach München. Von dort ging es nach Istanbul und weiter nach Trabzon, wo wir die fehlenden Lebensmittel besorgten. Am nächsten Morgen beluden wir den Bus, der uns nach Ayder brachte. In diesem Gebiet findet man verschiedene Naturattraktionen vereint. Während wir noch mit unserem Bus entlang der Schwarzmeerküste mit ihren unzähligen waldgesäumten Buchten fuhren, trafen wir kurze Zeit später auch schon auf riesige Teeanbaugebiete, die in Terrassen die Hänge überziehen und wilde Bergbäche. Die Straße, die uns hierher führte, ist gut befahrbar und zieht sich immer weiter ins Hinterland.
„Es regnete – so langsam kamen in mir Zweifel auf, ob wir hier wirklich den erhofften Schnee finden würden…“
Endlich erreichten wir unseren Ausgangspunkt, die Bergsiedlung Ayder (1.300 Hm), ein kleines bizarr anmutendes türkisches Touristendorf mitten im Wald. Kemal, der Manager des Hotels, in dem wir eine weitere Nacht verbrachten, erzählte uns, dass es die Woche vorher ordentlich geschneit hatte – was für ein Glück!
Am Nachmittag schlenderten wir bei leichtem Schneefall über die einzige Dorfstraße. Geschlossene Souvenirläden und Gaststätten lassen vermuten, dass hier in den Sommermonaten reges Treiben herrscht, soll Ayder ja in den letzten Jahren zu einem beliebten Erholungsgebiet für türkische Familien geworden sein.
Unser Stützpunkt, eine einsame Almhütte
Mit schwer bepackten Rucksäcken und unter den neugierigen Blicken der Einheimischen brachen wir am nächsten Morgen auf. Nach einem kräftezehrenden Aufstieg durch den kniehohen Schnee erreichten wir die Almhütte, die für die bevorstehenden sieben Tage unser Stützpunkt war. Den restlichen Tag verbrachten wir damit Mäuse aus den Zimmern zu jagen, Dachlawinen loszutreten, ein Freiluftklo zu bauen, Holz zu hacken, Wasser aus dem nahen Gebirgsbach zu holen und den Ofen zu reparieren, der uns für die nächsten Tage als Kochstelle diente. Abends wurde gekocht, abgewaschen, die Kleidung getrocknet – und natürlich durfte das obligatorische Watterle nicht fehlen! Zum Frühstück wurden literweise Schwarztee, Milch und Kaffee zubereitet und nach einem Teller Haferflocken mit Trockenfrüchten standen wir auch schon auf unseren Skiern und zogen langsam unsere Spuren durch den unberührten Pulverschnee ins Tal hinein, während sich neben uns ein Gebirgsbach vorbeischlängelte. Links und rechts von uns unverspurte Berghänge, die nur darauf warteten, bestiegen zu werden. Die Berggipfel in diesem Tal sind zwischen 2.800 und 3.500 Meter hoch. Der höchste Berg in diesem Gebirge ist der „Kackar-Dagi“ (3.932 Hm), der sich aber ein Tal weiter befindet.
Immer wieder standen wir unbewusst auf dem Dach einer Almhütte
Wir trafen auf urige, unter teils meterhohen Schnee verborgene Almdörfer. Im Sommer leben hier Nomaden und Bergbauern und kümmern sich um die Almwirtschaft. Jetzt wirken die Hütten verlassen und es scheint wie ein kleines Wunder, dass sie dem Gewicht dieser Schneemaßen standhalten.
Da dieses Gebiet touristisch unerschlossen ist, gibt es keine Landkarten, die zum Skibergsteigen geeignet wären, und so standen wir auf unserem ersten Gipfel und versuchten uns, anhand eines handgezeichneten Stück Papier, zu orientieren. Inzwischen beschäftigte mich immer mehr die Tatsache, dass es hier noch Bären und Wölfe geben soll. Beim ersten Aufstieg hatte ich noch ein mulmiges Gefühl. Doch nach unserer Abfahrt im tiefen Pulverschnee, etlichen Juchizer-Rufen und dem Anblick der verspurten Hänge, waren meine Sorgen wie weggeblasen. Welcher Bär würde es wagen sich 15 „Wahnsinnigen“ in den Weg zu stellen?
Ein Höhepunkt unserer Jugendführerfahrt war die Übernachtung in einer Schneehöhle. In einer riesigen Wechte gruben wir uns durch Unmengen von Schnee. Dieses Biwak ermöglichte uns die Besteigung eines weiter entfernten Gipfels.
Die Tage vergingen, die Temperaturen stiegen an, der Gang zu unserem Freiluftklo wurde mittlerweile zu einem kleinen Abenteuer, die Gesichter wurden immer sonnenverbrannter und die Berghänge, die noch nicht verspurt waren, immer weniger. So langsam hieß es Abschied nehmen von unberührter Natur, Pulverschnee und Hüttenleben.
Als wir nach Ayder zurückkehrten trauten wir unseren Augen kaum. Dort, wo vor einer Woche noch meterhoch Schnee lag, blühten nun die ersten Blumen. In den Thermalquellen gönnten wir unseren Muskeln noch 46 Grad heißes Wasser und schon ging es wieder zurück nach Trabzon, wo wir das in einer steilen Felswand angelegte Kloster Sumela besichtigten.
Am nächsten Morgen saßen wir im Flugzeug Richtung Istanbul. Einige der Sehenswürdigkeiten, wie die Hagia Sophia, die Blaue Moschee und den Gewürzbasar wollten wir natürlich selbst erleben.
Trabzon im Osten, Istanbul im Westen
Unter den Kuppeln des Gewürzbasars herrscht ein wahrhaft orientalisches Treiben. Die Händler sitzen vor Leckereien aus türkischem Honig, getrockneten Früchten und vollen Säcken mit farbenprächtigen Gewürzen. Im „Großen Basar“ ging es da schon reichlich lauter und hektischer zu. Rund 4.000 Läden befinden sich in den überdachten Gassen mit den prächtig ausgemalten Deckengewölben. Den Kontrast zwischen den beiden Städten, Trabzon im Osten und Istanbul im Westen der Türkei, muss man selbst erlebt haben!
…endlich verstummen die Gebetsrufe. Mit vielen wertvollen Erfahrungen und tollen Bergerlebnissen werden wir morgen die Heimreise antreten.
Auf diesem Weg möchten wir uns bei der AVS-Jugend, der Firma VAUDE, sowie beim Amt für Jugendarbeit für die großzügige Unterstützung bedanken.
Verena Simmerle
Video Jugendführerfahrt des Alpenvereins Südtirol in die Türkei (Teil 1):